Der rosa Wagon

Eines abends nach einem langem und ermüdenden Tagesausflug sind wir am Weg zurück zum Hotel, besteigen die U-Bahn und freuen uns über zwei Sitzplätze, die wir ergattern konnten. Ich blicke ein wenig um mich und freue mich gleich noch mehr, weil ich ein paar wirklich hübsche weibliche Fahrgäste (gendert man das auf „Fahrgästinnen“?) erblicke. Nach und nach bemerke ich, dass es verhältnismäßig viele sind. Ich schaue noch genauer und bemerke, dass in diesem Wagon ausschließlich weibliche Fahrgäste sitzen und ich der einzige Mann bin. So ein glücklicher Zufall und so viel zum Schauen. Ich diskutiere mit Susanne ob das wohl an der Uhrzeit liegen könnte oder an der Gegend oder ob es reiner Zufall ist und sehe mich weiterhin erfreut um. Nach und nach bemerke ich jedoch, dass die eine oder andere eher streng zu mir blickt, was ich normalerweise darauf zurückführe, das wir als Europäer in Japan doch ein kleines bisserl kurios sind. Doch wenig später wissen wir was hier passiert…

In Japan gibt es etwas das heißt „Frauen-Wagon“. In den U-Bahnen von Tokyo und auch von Osaka, haben auf manchen Linien der erste und der letzte Wagon einer Bahn eine spezielle Markierung. An verschiedenen Stellen dieser Wagons sind dunkelrosa Schilder angebracht. Darauf ist der Text „Women Only“ zu lesen, sowie viele japanische Schriftzeichen, die erörtern an welchen Tagen und zu welchen Zeiten das Schild gilt und wann nicht.
Hintergrund: Anfang der Nuller-Jahre haben verschiedene Linienbetreiber mit der Einführung von Women-Only-Wagons begonnen, weil es scheinbar immer mehr sexuelle Übergriffe in den U-Bahnen gegeben hat. Vorallem in der Rush-Hour, wenn manche Linien wirklich zum Bersten voll sind, gab es vermehrt Vorfälle in denen Frauen von Männern massiv „befummelt“ und „begrapscht“ wurden. Nun ist es so, dass japanische Frauen sehr verschämt sind und sich nicht um Hilfe rufen trauen und solche Dinge über sich ergehen lassen. Zum anderen würde die Beweislast auf Seite der Frauen liegen, aber wie sollen solche Vorfälle bewiesen werden. Und drittens ist das Thema Zivilcourage in Japan ein etwas Zwiespältiges, weil der Japaner angeblich dazu neigt, nichts gesehen und nichts bemerkt zu haben. Andererseits sind die U-Bahnen aber zeitweise so voll, dass man Vorfälle solcher Art tatsächlich nicht beobachten kann. Also wurden Wagons etabliert die an bestimmten Tagen und zu bestimmten Uhrzeiten ausschließlich von Frauen bestiegen werden dürfen.
So sitzen wir also im „Frauen-Wagon“. Susanne hat das natürlich kalt gelassen, sie darf ja, aber ich war hier ein ungewollter Fremdkörper. Mit jedem Augenblick habe ich mich schuldiger und schlechter gefühlt, obwohl ich gar nichts arges getan habe. Ich schwöre, wäre ich an diesem Abend nicht so fußmarod gewesen und wäre mir der errungene Sitzplatz nicht so wichtig gewesen, ich hätte schleunigst den Wagon gewechselt, ungeachtet dessen, dass ich doch ein Lieber bin und nichts böses im Schilde führe. Ich hoffte, dass Susannes Anwesenheit und der Umstand, dass wir uns unterhielten und scherzten, die streng Blickenden davon abhalten wird, mich mit Blicken zu töten (…Frauen können das angeblich).

Am nächsten Tag saßen Susanne und ich wieder einmal bei Starbucks, auf Kaffee und etwas Gutes, weil Susanne ein WLAN-Junkie ist und es nicht allzulange aushält offline zu sein. Wie immer blickte ich mich im Lokal um und war schon wieder erfreut. Schon wieder unzählige hübsche Frauen. Hmm… eigentlich nur Frauen. Dann befiel mich eine kurze Panikattacke. Kann es sein, dass es in Japan auch Woman-Only-Starbucks gibt?

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