Es ist keineswegs naheliegend, der Nationalsport der Bhutaner ist Bogenschießen. Wobei man sich den Sport des bhutanischen Bogenschießens jetzt nicht so vorstellen darf, wie wir das aus Europa kennen, als olympische Disziplin. Es ist eher so zu verstehen, wie bei uns am Land, am Stammtisch, im Wirtshaus, am Sonntag Nachmittag tarockiert wird.
Ziel in 145 Metern
Also Bogenschießen in Bhutan sieht so aus: Ein langgezogener Grasstreifen, nicht selten an einem Flussufer. An beiden Enden des Platzes, je eine Zielscheibe, die eigentlich eine Holztafel ist, 35 x 110 Zentimeter, auf welcher eine tellergroße Zielscheibe aufgemalt ist. Der Abstand zur Zielscheibe beträgt sagenhafte 145 (einhundertfünfundvierzig!) Meter. Beim olympischen Bogenschießen, weltweit, wird auf lediglich 50 Meter bis maximal 90 Meter geschossen und dabei sind die Zielscheiben aber um ein Vielfaches größer. Tatsächlich ist es so, dass man diese bhutanischen Zielscheiben mit freiem Auge wohl sieht bzw. erkennen kann, aber darauf zu zielen ist etwas ganz anderes.
Mannschaftssport
Es treten zwei Mannschaften gegeneinander an. Diese Mannschaften sollten im Idealfall aus jeweils 11 Mitgliedern bestehen. Wenn es weniger sind, macht das aber auch nichts. Es sollten zumindest gleich viele sein. Wenn es sich um offizielle Wettkämpfe handelt, haben die Teilnehmer in der traditionellen bhutanischen Tracht, dem Gho, anzutreten. Wobei das Tragen von Sportschuhen gestattet ist, aber extrem unkleidsam ist, ja nahezu lächerlich aussieht.
Und nun wird abwechselnd auf die Zielscheibe geschossen. Wenn man die Holztafel trifft, egal wo, gibt das einen Punkt. Und die Mitglieder der jeweiligen Mannschaft halten, vor lauter Freude ein kurzes, rituelles Tänzchen mit Gesang ab. Trifft man gar in die Mitte der Zielscheibe, diese Fläche ist etwa handtellergroß – nochmals zur Erinnerung, es handelt sich um eine Distanz von 145 Metern – so erhält man zwei Punkte und die Freude ist noch größer.
Wenn alle Schützen, alle Pfeile geschossen haben, wird gemeinsam die Seite gewechselt und in die Gegenrichtung weitergespielt.
Es wird meist um Geld gespielt. Jeder zahlt die gleiche Summe in einen Pot. Der Sieger erhält den Pot. Wobei ich noch nicht herausgefunden habe, ob der Sieger eine Person oder eine Mannschaft ist.
Traditionelle Bögen
Aber jetzt kommt’s – nämlich die Ausrüstung. Bögen und Pfeile. Ganz traditionell sind die Bögen aus zwei Stück Bambuslatten, die etwas überlappend, zu einem Bogen geformt zusammengebunden werden. Die überlappende Stelle, etwa 15 cm lang, stellt das Griffstück dar. Als Pfeile dienen möglichst gerade Bambusstäbe mit Metallspitze. Mit dieser Ausrüstung wird alle Haltungsregeln des modernen Bogensports ignorierend, das heißt stark vorne und seitlich übergebeugt und mit einer deutlichen Vorwärtsbewegung beim Loslassen der Bogensehne, auf das, ich muss es nochmals betonen 145 Meter entfernte Ziel geschossen. Hinzu kommt, dass die Flugbahn der Pfeile aufgrund der sehr geringen Zugkraft dieses traditionellen Bogens vorwiegend einer ballistischen Bahn folgen. Für meine Begriffe kann auf diese Weise das Treffen der Zieltafel lediglich mit ausreichend Glück bewerkstelligt werden. Unser Tourguide beteuerte jedoch, dass dem ganz bestimmt nicht so sei und dass es sehr gute Schützen mit sehr reproduzierbaren Trefferquoten gäbe. Hmm, naja, ich bleibe skeptisch.
Top Equipment
Aber auch in Bhutan hält der Fortschritt Einzug. Ambitioniert Bogenschützen, vor allem jene die über das nötige Kleingeld verfügen, statten sich mit den modernsten Hitech-Pfeil-Abschuss-Maschinen aus. Und zwar Equipment vom Allerfeinsten. Hochmoderne Compound-Sportbögen von Hoyt, Mission, Oneida und anderen aktuellen Topmarken, um 2.000 bis 3.000 Euro ersetzen plötzlich die traditionellen Bambusbögen, leichte Aluminiumpfeile oder gar modernste Pfeile aus Carbon die alten Bambusstäbe. Was jedoch weiterhin verpönt ist, sind Visiere und Releases. Das heißt, die Sehnen der Bögen werden weiterhin mit den Fingern gespannt, was bei einer Zugkraft von etwa 30 Kilogramm eine erwähnenswerte Leistung ist und die Fingerkuppen der Zughand mächtig beanspruchen. Und das Ziel wird, wie schon immer, mit freiem Auge anvisiert. Wer kurzsichtig ist, sieht die 145 Meter ferne, tellergroße Zielfläche nicht einmal.
So sieht man dann rund zwanzig Bhutaner in ihren kittelartigen Ghos, darunter kunterbunte Sportschuhe und hochmodernen Compoundbögen bogenschießen, Schnaps trinken, singen und tanzen und ihr Geld verlieren. Ein ausgesprochen ungewöhnlicher Anblick, aber lustig.
Olympiateilnahme
Traditionell ist Bogenschießen ein Männersport, naja sagen wir eine Männerbeschäftigung. Auch unser Tourguide meinte, mit tiefster Überzeugung, dass Bogenschießen nur von Männern ausgeübt wird. Tatsächlich gibt es aber sehr wohl auch buthanische Bogenschützinnen. Gerne gesehen ist es nicht, aber trotzdem gibt der Staat Bhutan auch Frauen die Möglichkeit zum Training und zur Ausbildung zum olympischen Bogenschießen. Seit 1984 nimmt Bhutan nämlich auch an den olympischen Sommerspielen teil, aber eben nur in einer einzigen Disziplin, Bogenschießen. Eine der bekanntesten Schützen ist eine Frau, Tshering Choden, über die GEO-TV sogar eine Fernsehdokumentation produziert hat. Medaillen hat Bhutan aber trotzdem noch nie errungen.
11 Gedanken zu „Die seltsamsten Bogenschützen der Welt“
Unglaublich! Und habt Ihr was getroffen? Der Versuch zählt! Sehr mutig
Lieber Christian!
Ich habe mit unserem Fahrer vier Runden absolviert. Dabei habe ich einmal und er gar nicht getroffen. Aber… die Distanz war viel(!) kürzer, wahrscheinlich keine 50m. Und er hat darauf bestanden, dass ich den einen brauchbaren Bogen und nur die halbwegs guten Pfeile verwende.
Liebe Grüße, Andreas
Sensationell!
Danke. 🙂
übung macht den Meister
Bei manchen Laien-Bogenschützen ist es wohl besser, wenn sie nichts treffen. 😉
Beste Sportreportage ever. Ergänzend Bhutan hat bisher noch keine Olympiamedailie errungen, aber immerhin konnten sie für Bogenschießen einen Quotenplatz erreichen.
Außerdem war 2012 erstmal auch ein Sportschütze in London dabei 😉
Freue mich schon auf weitere Berichte.
Lieber Benno!
Alles korrekt, aber da ich nur einen Sport-Statistik-Fetischisten kenne :-), habe ich versucht nicht noch mehr langweilige Deteils hineinzupacken. 🙂 🙂 🙂
Und Sportschießen (ohne Bogen) ist keine typisch bhutanische Tradition.
Aber fein, dass Dich der Beitrag interessiert hat.
Liebe Grüße, Andreas
Du weißt ja mehr über Bhutanisches Bogenschießen, als ich. Und das, obwohl ich dort war. 😉
Was für ein hammer Sport.Da muss der bogen aber ganz schön gespannt sein. Holla 145m.
Ja, man sieht kaum noch das Ziel. Und es scheint als wäre es viel mehr Glück als können. 🙂